Schottland: Durch die Highlands von Ullapool bis Loch Lomond
Nach dem Besuch der Inseln ging es von der größten Stadt der Äußeren Hebriden, Stornoway, mit der Fähre Richtung Festland. Ullapool, ein wunderschönes kleines Fischer- und Fährdorf, begrüßte uns mit Sonnenschein, weißen Häusern Perlen gleich aufgereiht am Ufer und kleinen buntgefärbten Booten im Hafen. Die Hitzewelle in Süddeutschland, die dort die Temperatur nochmal auf 30 Grad und mehr hochtrieb, zeigte ihre Auswirkungen sogar im hohen Norden des schottischen Festlandes. Uns standen vier warme Tage bevor, die eher an ein Radfahren im herbstlichen Italien erinnerten als ein Radeln in Carols normalerweise so windiger und nasser Heimat.
Die Schotten freuten sich darüber, zumindest die meisten. Ist das Wetter bei jedem noch so kurzen Gespräch Thema Nummer eins, riefen sie uns beim Einkaufen, beim Durchradeln einer Stadt oder beim Lösen einer Eintrittskarte zu einer der Attraktivitäten gleich zu: „Ist das Wetter nicht herrlich?“, „Habt ihr schon mal ein so tolles Wetter in eurem Leben gesehen?“ usw. Nur eine ältere Dame meinte, man könne nichts tun, aber auch wirklich gar nichts bei einer so gewaltigen Hitze. Zu diesem Zeitpunkt hatte es gerade mal 21 Grad im Schatten!
Wir fanden es großartig, konnten wir doch die atemberaubende Natur entlang der Westküste von Ullapool bis Lochcarron auf dem Wester Ross Trail in voller Schönheit bei strahlend blauem Himmel erleben. Vielleicht lag es am Wetter, wir konnten tatsächlich in kurzen Hosen radeln (gut, es hätte uns in den Wochen vorher auch niemand davon abgehalten, aber wahrscheinlich wären wir blau dabei angelaufen), aber wir empfanden diesen Abschnitt als den landschaftlichen Höhenpunkt der gesamten Reise.
Eine unglaubliche Vielfalt auf wenigen Kilometern, die uns an Neuseeland oder an British Columbia in Kanada erinnerten, gemischt mit dem typisch schottischen Aussehen von heidekrautbewachsenen Berghängen. Außer Landschaft gab es nicht viel zu sehen, auch Menschen waren kaum unterwegs, aber das hätte wohl auch eher störend gewirkt. So bewegten wir uns in unserem gemäßigten Radeltempo durch die Stille und Einmaligkeit dieser Natur und die vier Tage kamen uns eher wie Wochen vor.
Nach den warmen Tagen war es dann vorbei mit den paradiesischen Zuständen. Es war uns klar, dass es so nicht weitergehen konnte, denn wäre es immer so, wäre Schottland mit Touristen aus aller Herren Länder mehr als überlaufen.
Der fünfte Tag brachte Regen, Wind und Sturm und damit natürlich auch Kälte. Wir radelten Richtung Insel Skye – zum zweiten Mal Skye auf dieser Reise, da die Überquerung des südöstlichen Zipfels einen großen Umweg ersparte. So kamen wir auch in den Genuss, die Brücke zu überqueren, die Skye seit 1995 mit dem Festland verbindet. Selbstverständlich ist die Brücke für Fussgänger und Radfahrer kostenlos. Bevor wir uns jedoch bei Sturmböen über die Brücke aufmachten, nahmen wir trotz Regen einen Umweg in Kauf, um Eilean Donan Castle zu sehen, das meistfotografierte Schloss Schottlands. Auch wir haben unseren Teil dazu beigetragen, dass es zu dieser Auszeichnung gekommen ist.
Anhaltend schlechtes Wetter, über 1000 Radkilometer in den Beinen und noch wenige Tage bis Reiseende ließen uns dann von Mallaig aus den Versuch starten, wie es sich denn mit zehn Packtaschen und zwei Fahrrädern Zug fahren lässt auf dem einmaligen „West Highland Railway“ (Strecke Mallaig über Fort William nach Glasgow). Der Zug geht z.B. über ein Viadukt, das in den Harry-Potter-Filmen vom Hogwart-Express überquert wird.
Unser Ziel war jedoch Loch Lomond, das Heimat-Loch von Carol sozusagen. Carol kaufte sich noch eine dicke Sonntagszeitung und ich freute mich schon auf vier Stunden ausruhen im Zug. Aber wir hatten die Rechnung ohne die Zugschaffners gemacht. Zwar waren alle sehr nett, aber es war doch stressiger als gedacht. Der Zug war für die Mitnahme von sechs Rädern ausgelegt. Wir kamen unangemeldet und ausgerechnet ab Fort William, also nach ca. 1 Stunde Fahrtzeit, waren sechs Räder angemeldet. Es ist jedoch so, dass vor der Zugtoilette ein Platz für Rollstuhlfahrer ausgewiesen ist. Will kein Rollstuhlfahrer mitfahren, sei dort Platz für zwei weitere Räder, wurde uns freudestrahlend doch die Fahrkarte für die ganze Strecke verkauft.
Soweit, so gut. Wir rollten die Räder in dem fünfminütigen Aufenthalt nach vorne, um festzustellen, dass gerade die Zugtoiletten repariert wurden. Also standen wir dekorativ auf dem Bahnsteig herum. Dann ein kurzer Pfiff, ein Zugwechsel war angesagt. Die Toiletten waren leider unreparierbar, alle Passagiere und Gepäck sollten bitte in den gegenüberliegenden Zug einsteigen. Wir standen am Zuganfang mit zwei Rädern, unsere zehn Packtaschen lagen verstreut im Abteil am anderen Zugende. Nun ja, es war Sport und hatte mit Ausruhen nicht das geringste zu tun.
Nach einigen Ruhetagen in Balloch am Loch Lomond (seit 2002 zum ersten schottischen Nationalpark gekürt), von wo wir auch Glasgow ganz einfach besuchen konnten, ging es Richtung Glasgow-Prestwick wieder auf der National Cycle Route No. 7, die uns schon zu Anfang unserer Reise so überrascht hatte. Schottland ist mittlerweile von einem festen Radwegenetz durchzogen, das an der Ostküste der Highlands und in den Lowlands (also im Süden) sehr dicht ist, während es an der Westküste noch auf weiteren Ausbau und Vollendung wartet. Alte Bahntrassen oder Straßen, die von neuen zweispurigen Rennstrecken für Autos abgelöst wurden, stehen als Grundlage für die Radwege zur Verfügung. Mustergültig ausgeschildert führen sie vorbei am großen Industriegebiet und Hafen von Glasgow, ohne mit dem dichten Stadtverkehr in Berührung zu kommen.
Wir nehmen den Flieger nach Deutschland und wissen ganz genau, dass wir wieder nach Schottland zurückkehren werden, egal ob es stürmt oder regnet. Schließlich wärmt der Whisky von innen und die wunderbare Landschaft entschädigt für alles.