West Highland Way in Schottland – mit Rucksack, Zelt und Wanderschuhen
Abenteuer in der Nähe der Zivilisation
Eine Woche Abenteuer in einem zivilisierten Land ist auf Schottlands bekanntestem Fernwanderweg kein Problem. Der Weg ist „nur“ 154 km lang, hat aber mit seinen 4.500 Höhenmetern einiges zu bieten. Wer dann noch ein paar Tage Sonnenschein ergattern kann, könnte sich im Paradies wähnen vor lauter Schönheit. (Der komplette Text wurde so ähnlich im Reisemagazin Globetrotter der Schweiz 04/2014 veröffentlicht.)
Nebel sowie Regen von vorne und hinten gleichzeitig, rutschige Steine und null Aussicht, während wir uns mit je 15kg auf dem Rücken einen steilen Weg auf nur 350m Höhe hochkämpfen. Muss so ein Schottland-Bericht immer anfangen? Könnte es nicht auch so gehen: Wir laufen auf einem schön geschotterten Wanderweg an einem See entlang bei wunderbarer Sonne und leichtem Wind und zählen die vielen Wasserfälle, die rechts von uns den Berg runterollen. Es ist beides möglich zwischen Milngawie und Fort William auf dem West Highland Way. Das Wetter wechselt so schnell wie die Wolken, die über uns hinwegziehen und so erleben wir die rauen Highlands mit ihren heidekrautbewachsenen Hügeln in immer anderen Sichtweisen.
Milngnavie ist der Ausgangspunkt für den ersten und am meisten begangene Fernwanderweg Schottlands mit bis zu 50.000 Wanderern im Jahr. Einfach zu erreichen mit der Bahn von Glasgow oder Edinburgh aus. Über sechs bis acht Tage kann man dann unterwegs sein nach Fort William zum Endpunkt des WHWs, wie er kurz und knapp genannt wird. Selten sieht man Schilder mit Ortsnamen und Entfernungen, aber der Weg an sich ist hervorragend ausgeschildert mit der stilisierten Distel, der Nationalblume Schottlands. Ein Wanderführer oder eine Karte empfiehlt sich trotzdem.
„Zwei Meilen sind ca. drei Kilometer“, sagt Theresa, die ich mit ihrer Freundin Maria gleich am zweiten Tag kennen lerne. „Aber drei Kilometer auf dem WHW sind nicht vergleichbar mit drei Kilometern auf einem anderen Weg.“ Stimmt! Obwohl der Weg auf alten Viehhändlerrouten und Militärstraßen angelegt ist, haben wir immer wieder reine Kletterpartien zu überstehen, es geht steil hoch und runter und die 4.500 Höhenmeter bremsen uns eh.
Gerade die Abstiege machen mir sehr zu schaffen. Mit dem Zelt wollte ich hier unterwegs sein. Im teuren Schottland ein bisschen budgetmässig leben, wäre nicht schlecht, sagte ich meiner mitwandernde Freundin Carol. Sie, die an Loch Lomond geborene Schottin, kehrt mit dieser Reise zu ihren Wurzeln zurück, lebt sie doch schon seit fast dreißig Jahren in Deutschland.
Dank meiner Wanderstöcke schaffe ich es am dritten Tag mit Mühe und Not die Berge runter. Der Rucksack mit Zelt, Schlafsack und Isomatte wird die nächsten Tage noch mehr wiegen, da wir 44km zwischen Tyndrum und Kinlochleven über Rannoch Moor, die größte Wildnis Großbritanniens, ohne Einkaufsmöglichkeiten überbrücken müssen. Mein rechtes Knie findet aber, dass Rucksäcke, besonders schwere Rucksäcke, eigentlich eine doofe Angelegenheit sind. Maria und Theresa, die beiden jungen Frauen aus Ostdeutschland, sind dieser Meinung schon etwas länger. Als unerfahrene Wanderinnen haben sie alles eingepackt, was in den Rucksack passte und kamen so auf 24kg pro Person, ein riesiges Tunnelzelt inklusive.
Wie gut, dass der WHW über ein Gepäcktransportsystem verfügt. Trotz Abgeschiedenheit verkehrt hier täglich ein Minibus, der neben den zu schweren Rucksäcken auch noch einige Waren von Supermarkt zu Supermarkt transportiert. So muss ich zähneknirschend meinen Stolz hinunterschlucken und gebe meinen Rucksack auf. Carol macht aus Solidarität mit und wird hinterher zugeben, dass es so doch einfacher war.
Der Gepäcktransport ist nicht teuer und so lohnen sich die 27 britischen Pfund für die verbleibenden fünf Tage auf jeden Fall. Selbst Campingplätze oder Hotels werden von Travel-Lite angefahren. Dort angekommen, setze ich meinen Rucksack auf und wir können trotzdem einen Wild-Zeltplatz aufsuchen. Morgens kommt der Zettel mit dem nächsten Anfahrtspunkt wieder an den Rucksack und es geht weiter.
Johannes und Christian aus Dresden, die wir auf dem letzten Drittel des Weges treffen, sind zwar vollbeladen, nehmen aber auch den Gepäcktransport wahr. Sie lassen ihre Klettersachen und die Taucherausrüstung nach Fort William fahren und schleppen so „nur“ noch ihre 20kg durch die Gegend. Um weiter Geld zu sparen, zelten sie ausschließlich wild, schlagen sich abends zwischen die Kiefern oder direkt ins Heidekraut an einem der vielen Seen. So ist immer eine Waschgelegenheit in der Nähe, die durch die enorme Kälte morgens sogar ohne Kaffee zu einer besonderen Aufgewecktheit verhilft.
Zum höchsten Punkt des WHW auf 550m führt die Devils Staircase. Glücklicherweise ist dem Regen jetzt endlich die Sonne gefolgt und die sanften Hügel, der blaue Himmel und die unendliche Ruhe strahlen eine Weite aus, die fast überirdisch erscheint.
Vor mir geht eine Gruppe von fünf Asiaten, die ihre Unterkünfte und Gepäcktransport von ihrem Studienort London bereits im Voraus gebucht haben. Schlafen und Essen in Hotels, Hostels oder B&Bs ist allerdings eine teure Angelegenheit, die den einwöchigen Urlaub eher in die Kategorie einer dreiwöchigen Fernreise katapultiert. Vor mir läuft der einzige Mann der jungen asiatischen Gruppe, schwer hinkend, da sein Knie auch ohne Gepäck völlig am Ende ist. Obwohl ich deutlich schneller sein könnte, und er das auch weiss, lässt er mich auf dem schmalen felsigen Pfad nicht vorbei. Anscheinend ist es in China den Männern nicht gestattet, Schwäche zu zeigen. Als der Pfad sich etwas verbreitert, ziehe ich trotzdem an ihm vorbei und habe so einen freien Blick nach oben.
Steuern wir mal wieder einen Zeltplatz an, die es auf dem WHW durchaus gibt, treffen wir viele Abenteuerlustige, die Schottland trotz Regen und Kälte einfach nur lieben. Jason und Paul sind zwei Tree Surgeons, kümmern sich also in England um kranke Bäume. Sie sind mit dem Auto ins schottische Hochland gefahren und machen Tageswanderungen auf dem WHW. Als Abendessen gibt es in der Campers Kitchen für sie zwei Flaschen Whisky, den sie günstig aus England mitgebracht haben. Der berühmte Single Malt wäre für ein solches Ein-Gang-Menü ein bisschen zu schade, finden sie.
Aber noch besser sind die Stellen, wo wir einfach nur so unser Zelt aufstellen können. Zum Beispiel bei Kingshouse, nach Überquerung des Rannoch Moors, mitten in der Durststrecke von 44km ohne Einkaufsmöglichkeit. Outback gibt es auch in Europa. In Kingshouse gibt es zwar ein Hotel, doch die sanitären Anlagen sind nur den Hotelgästen vorbehalten. So bleibt uns der Sprung in den Wildwasserbach oder wir gehen eben ein bisschen duftend in den Climbers Pub, den wir auch als Nicht-Hotelgäste gerne besuchen dürfen. Dort wird dann von den Gästen selber Musik gemacht, die ihre Gitarren, die gaelische Trommel Bodhran oder einfach nur Flöten und Geigen mitbringen.
Die Geschichte der Highlands ist mir dank der Verfilmungen Braveheart oder Rob Roy natürlich bekannt. Die Spuren der Vertreibung der Highländer und die Zerstörung der Clans kann ich heute noch anhand verlassener Häuser, längst zu Ruinen verfallen, sehen. Es ist so viel Grün hier, saftiges Weidegras, aber Schafe oder Kühe gibt es hier leider kaum noch. Als ein fast schon wieder unentdecktes Land präsentiert sich das Hochplateau hinter Kinlochleven, das rechts und links von Munros gesäumt wird, den höchsten Bergen Grossbritanniens mit mehr als 3000ft Höhe (914m).
Kurz vor Fort William sehen wir dann Ben Nevis, den höchsten Berg Großbritanniens mit 1344 m. Die Sicht auf ihn bildet den Abschluss des West Highland Ways und in Fort William holt uns dann die Zivilisation wieder ein. Mit knapp 10.000 Einwohnern mutet sie fast wie eine Grossstadt an in dieser eigentlich sonst so gottverlassenen Gegend. Mitten in der Stadt gibt es einen offiziellen Endpunkt des WHW. Wir haben Glück. Als wir uns nach 154km dem Ziel nähern, kommen gleichzeitig unsere neuen Freunde Theresa und Maria und die fünf Asiaten an. Dazu noch John aus England mit Sue aus New York und das israelische Pärchen, das seine Hochzeitsreise auf dem WHW absolviert hat. Wenn das nicht ein guter Beginn für eine Ehe ist?