Bericht 9: Santiago de Compostela, Spanien – 20. Mai 2001
Hallo,
oh Wunder, oh Wunder, doch noch ein Newsletter aus Spanien. Das muss dem heiligen Apostel Jakobus zu verdanken sein, der anscheinend mehrere Internetcafés in Santiago eingerichtet hat.
Wie Du sehen kannst, sind wir tatsächlich in Santiago de Compostela angekommen. Die letzten Berge vor Santiago waren so steil, dass wir Angst hatten, das Vorderrad kommt uns entgegen und wir purzeln rückwärts wieder den Berg hinunter. Und schönes Wetter mit viel Sonne hatten wir auch die letzten drei Tage. Ein weiteres Wunder. Heute haben wir einen radelfreien Tag und genießen Santiago. Hier pulsiert das Leben, es gibt eine nette Altstadt, viele Restaurants und wir treffen alle Pilger wieder, die wir unterwegs kennen gelernt haben. Die Pilgermesse haben wir auch schon besucht und im Pilgerbüro unser Zertifikat (Compostela) erhalten, das bestätigt, dass wir den Jakobsweg gepilgert sind.
Aber bis hierher war es ein schwieriger Weg. In unserem Bericht Nr. 8 hatten wir ja schon die Gefahren der Hauptstraßen geschildert. Doch da wussten wir noch nichts von den zwei Bergpässen, die noch vor uns lagen. Einmal kamen wir bei Cruz de Ferro auf 1500 m, am nächsten Tag bei O Cebreiro auf 1300 m. Das war vielleicht anstrengend!
Cruz de Ferro ist ein schlichtes Eisenkreuz auf dem höchsten Punkt des Jakobswegs. Hier legen seit mehr als 1000 Jahren alle Pilger einen Stein aus ihrer Heimat nieder. Wir hatten natürlich keinen Stein mit, weil wir das vor Reiseantritt gar nicht wussten. Also haben wir unterwegs einen schönen Stein gesucht, den die ganze Zeit mit uns rumgetragen, damit er „unser“ wurde und haben den abgelegt. Hat keiner gemerkt.
Dann kam eine kilometerlange Abfahrt, teilweise durch ganz kleine Bergdörfer. In diesen Dörfern geht es noch recht mittelalterlich zu. Die Jungen ziehen deshalb wohl in die Stadt und die Alten betreiben weiterhin ihr Bauerngeschäft. Viele Häuser verfallen und die Dörfer sehen fast schon wie „Geisterdörfer“ aus.
Am nächsten Tag ging es nach O Cebreiro hoch. 700 Höhenmeter hatten wir zu bewältigen. Anfangs noch bei Sonnenschein, zum Schluss bei Regen und Gegenwind. Diesen Gegenwind hätten wir packen und an den Ohren schütteln können, solch eine Wut hatten wir auf den. Vor lauter Wut und Erschöpfung sind wir dann gleich da oben geblieben. Wir wollten nicht mehr runterfahren, denn eines haben wir hier gelernt: Wo es einen Berg runter geht, geht es auch wieder einen hinauf. In O Cebreiro kam dann aber als Wiedergutmachung abends die Sonne raus und wir konnten die schöne Aussicht genießen. Um diesen Gipfel herum gibt es noch viele andere Berge, die teilweise sogar über 2000 m hoch sind. Wie schön, dass der Jakobsweg da nicht drüber geht.
Um den Bergpass am nächsten Morgen runterzufahren, hatten wir uns das schlechteste Wetter überhaupt ausgesucht. Es hat in Strömen geregnet, den ganzen Tag. Unsere Bremsbeläge haben gelitten wie verrückt und wir werden die Ersatzbeläge für die nächste Etappe aufziehen. Die umliegende Bergwelt versank komplett im Dunst und teilweise haben noch nicht mal die Straße plus den nächsten Anstieg vor uns gesehen. Denn es ging weiterhin hoch und runter. Doch nach diesem Tag hatten wir die Schlechtwetterperiode endgültig überwunden und seitdem lacht die Sonne.
Am Ende kamen wir durch Galicien und das ist für uns landschaftlich eindeutig die schönste Etappe auf dem Jakobsweg. Sehr grün, viele Bäume, ab und zu ein interessantes Dorf. Aber es geht unheimlich in die Beine, weil es sehr hügelig ist. Doch bei schönem Wetter ist das alles nicht so schlimm.
Und am Samstag, 19. Mai, um 19 Uhr sind wir dann endlich vor der Kathedrale in Santiago de Compostela gestanden. In der Zwischenzeit haben wir in einer kleinen Pension ein Zimmer bezogen, weil der Campingplatz 6 km außerhalb der Stadt auf einem Berg liegt. Und auf Berge haben wir irgendwie im Moment nicht mehr so viel Lust. Komisch, nicht?
Gerade vorhin hatten wir ein lustiges Erlebnis: Wir saßen in einem Straßencafé in der Sonne herum und haben uns ein Bier gegönnt. Am Nebentisch war eine große Gruppe junger Pilger, die alle unheimlich gut drauf waren. Plötzlich setzt sich eine der Frauen zu uns und beginnt ein Gespräch. Sie erzählt von der letzten Nacht, die sie in der Natur abseits des Pilgerwegs verbracht hat. Zum Schutz für ihren Schlafsack hatte sie sich Müllsäcke besorgt. Als wir Müllsäcke hören, fragen wir sofort nach, denn besagte Müllsäcke brauchen wir, um unsere Ortlieb-Packtaschen für den Flug nach Irland zu verpacken. Ein Gepäckstück pro Person ist ja die Devise (siehe Bericht 7). Die Pilgerin ist sofort bereit, ihre neuen Müllsäcke zur Verfügung zu stellen. Als Bezahlung erbittet sie eine fünfsekundige Fussmassage. Wir sind erstaunt, aber bereit, da sie gepflegt aussieht und ihre Füße sauber sind. Kaum haben wir angefangen, fängt die Gruppe an zu schreien, die Pilgerin wirft die Arme in die Luft und freut sich wie verrückt. Hat sie doch die Wette gewonnen, die da lautete, eine Fussmassage von einem der Pilger im Café zu bekommen. Jetzt wird ihr von einer Mitpilgerin ein Abendessen spendiert. Und wir haben zwei weitere Biere bekommen (was Beate in der Hitze gar nicht gut bekam), nette Leute kennen gelernt und gleich unsere Internetadresse weiterverbreitet. Und die kostenlosen Müllsäcke nicht zu vergessen!!!
Am Dienstag fliegen wir nach Irland. Machs gut, bis dahin,
Beate und Carol
P.S.: Auf meiner neuen Seite www.pilgerwissen.de gebe ich übrigens jede Menge Hilfe und Tipps, falls Sie selber einen Jakobsweg gehen oder einfach sonst pilgern möchten. Und eine interaktive Packliste zum generieren gibt es dort auch.