Bericht 19: Kettle Valley Railway (Penticton-Hope), British Columbia, Kanada – 22. August 2001
Hallo,
wir haben es geschafft! Der ganze Kettle Valley Railway (KVR) liegt hinter uns und jetzt sind wir in Hope, ca. 150 km von Vancouver entfernt, und machen erst mal Pause. Die letzten 200 km waren ganz schön anstrengend. Gegenüber den ersten Streckenabschnitten war der Belag auf der ehemaligen Bahntrasse hier weitaus rauer, die Einkaufsmöglichkeiten seltener und irgendwie war es wilder.
Angefangen hat es damit, dass Carol in unserer letzten Begegnung mit der Zivilisation einen Weisheitszahn gezogen bekam. Das gut überstanden und damit mit weniger Ballast konnten wir uns aufmachen, die fehlenden Bahnkilometer von Penticton bis nach Hope zu erkunden. Schlecht war, dass wir die ehemalige Bahntrasse gar nicht gleich gefunden haben. Ein kurzer Abschnitt zwischen Summerland und Faulder wird noch von der alten Dampfeisenbahn befahren, nur zu Touristenzwecken natürlich. Auf den Gleisen konnten wir nicht fahren, weil da die Balance doch wirklich schwer zu halten ist. Also mussten wir bis Faulder die normale Straße nehmen, was wieder Berge klettern bedeutete. In Faulder übersahen wir dann die klitzekleine Bahntrasse und blieben fälschlicherweise auf der holperigen Straße, die hauptsächlich von den Holztrucks benutzt wird. Und dementsprechend sieht die Straße aus: Waschbrettartig ist sie ausgewaschen und es rüttelt und schüttelt, wenn man darüber radelt. Dann ging es noch auf und ab, es war wirklich kein Vergnügen.
Die Tunnel auf diesem Abschnitt sind manchmal zusammengebrochen und wir mussten Umwege machen. Die alten Eisenbahnbrücken sind auch nur teilweise vorhanden. Manchmal fehlt ein kurzes Stück, das dann mit Holzstämmen oder Brettern ersetzt wird. Oder die Armee hat zu Übungszwecken die Brücke einfach weggesprengt. Nett von denen, wirklich.
Und dann gibt es noch die sogenannten „washouts“, bei denen unglaubliche Regengüsse die Bahnstrecke einfach den Abhang hinunter gespült haben. Ein riesengroßer „washout“ von 1959, der dann auch zur Stilllegung der Teilstrecke zwischen Brookmere und Hope im Jahr 1961 geführt hat, war die größte Herausforderung für uns. 130 Meter fehlende Bahnstrecke mussten wir mit unserem gesamten Hab und Gut überqueren, dabei den Abhang auf der einen Seite runter, dann zweimal den Fluss durchwaten, auf Sandbänken und über große Kieselsteine bis zum Ende des „washouts“ und dann wieder den Abhang steil hinauf. Wir brauchten eine ganze Stunde für diese Geschichte und waren hinterher fast klinisch tot. Eine Runde Mitleid bitteschön :-).
Mitten in der Wildnis – wir haben oft stundenlang keinen Menschen gesehen – können Begegnungen mit anderen Menschen etwas ganz Besonderes werden. So ist es uns passiert, als wir Bert getroffen haben. Bert, noch ein Cowboy der alten Art und mindestens 80 Jahre alt, betreibt mitten in der Wildnis ganz alleine ein Pferde-Motel plus Campingplatz. Falls ihn jemand findet, kann man bei ihm mit Pferd übernachten und von seinem Motel aus Ausflüge in die Umgebung unternehmen. Fahrradfahrer sind herzlich willkommen und können bei ihm günstig zelten. Dafür macht er abends ein Lagerfeuer und für ein bisschen Strom zum Herunterladen von Digitalbildern auf den Laptop wirft er sogar extra seinen propanbetriebenen Generator an.
Als wir auf seiner Ranch ankamen, dachten wir nur, wie sieht es hier aus. Auf seiner Visitenkarte steht es sogar geschrieben: „When you see it you’ll wonder why you came. When you leave it you’ll wonder why you left.“ Und so war es dann auch. Wir wollten gar nicht mehr gehen, so herzlich war die Begegnung mit Bert und so besonders war es, auf seiner Ranch zu zelten.
Findet man keine Berts oder andere Campingplätze, ist Wildzelten auf dem KVR kein Problem, weil es einfach ganz viel Wildnis gibt. Das half uns hervorragend, ein bisschen Geld zu sparen. Überhaupt waren die drei Wochen auf dem KVR sehr günstig für uns, weil es so wenige Möglichkeiten gab, Geld auszugeben.
An einem Abend haben wir auf dem Fundament eines ehemaligen Wasserturms einen Pavillon gefunden, der von einer Gruppe Jugendlicher für die Radler als Rastplatz gebaut wurde. Mal wieder ein Dach über dem Kopf haben wir uns gedacht, und gleich unser Zelt darin aufgebaut. Mit Tisch und Bänken war das eine hervorragende Übernachtungsgelegenheit.
Jetzt ist das Abenteuer KVR also leider zu Ende. In zehn Jahren würden wir gerne wiederkommen und mal schauen, wie weit das Projekt KVR und Trans Canada Trail gediehen ist. Wir werden aber zuerst unsere Weltreise fortsetzen, nach Vancouver radeln und dann übersetzen nach Vancouver Island. Dort möchten wir unsere neuen kanadischen Freunde besuchen, bevor wir Kanada verlassen und die Pazifikküste nach Los Angeles in Angriff nehmen.
Bis die Tage,
Beate und Carol